Ein Jahr Cannabis-Gesetz: Stuttgarts zwiegespaltene Bilanz
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Ein Jahr Cannbis-Gesetz: Stuttgart sammelt Zahlen, Daten, Fakten und zieht Bilanz.
Foto: KI
Ein Jahr nach Inkrafttreten des Cannabis-Gesetzes zieht die Landeshauptstadt eine differenzierte Bilanz. Während sich die schlimmsten Befürchtungen nicht bewahrheiteten, geraten andere Bereiche unter Druck.
Abwasser lügt nicht – Konsum leicht gestiegen
Seit März 2023 analysiert das Zentrallabor Stuttgart monatlich das kommunale Abwasser auf Carboxy-THC, dem Abbauprodukt des psychoaktiven Cannabis-Wirkstoffs. 24 Proben täglich – kein Ort in Deutschland liefert präzisere Daten zum tatsächlichen Konsum.
Im ersten Jahr nach Inkrafttreten des Cannabis-Gesetzes stiegen die Werte um rund 13 Prozent an. Auffällig war dabei insbesondere ein starker Anstieg im Februar 2024 – noch bevor die Legalisierung in Kraft trat. „Da war zunächst mal der Gedanke: okay, die Konsumenten haben diese bevorstehende Legalisierung womöglich schon vorweggenommen“, erklärt Peter Schilling, Leiter des Zentrallabors in Stuttgart, in der ARD-Dokumentation „Die Cannabis-Bilanz – Wie viel kiffst du, Deutschland?“ (ARD/WDR, April 2025).
Ein nachhaltiger Trend ließ sich daraus nicht ableiten. Zum Sommer 2024 gingen die Werte wieder zurück. Schilling fasst zusammen: „Das Aufregende an den Daten ist, dass die eigentlich so unaufregend sind“ (SWR, 20. Mai 2025).
Früher in die Klinik – weniger schwere Verläufe
Das Klinikum Stuttgart – als eine der führenden Einrichtungen für Suchtbehandlung im Südwesten – zieht ebenfalls Bilanz. Im Jahr 2024 wurden über 6.700 Patient:innen behandelt, doch nur etwa 60 erhielten die Hauptdiagnose Cannabis-Abhängigkeit. Dr. Maurice Cabanis, Ärztlicher Direktor und Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin, beobachtet eine veränderte Dynamik: „Die Menschen kommen früher – und freiwillig.“
Drogeninduzierte Psychosen seien nicht häufiger geworden. Cabanis: „Was oft als großes Risiko vermutet wurde, ist ausgeblieben.“ Zugleich erleichtert das neue Cannabis-Gesetz den Zugang zur Behandlung. Jugendliche landen nun nicht mehr automatisch auf geschlossenen Stationen, sondern können in offenen Settings therapiert werden – ohne Angst vor Strafverfolgung.
„Wir können sie jetzt anders behandeln“, erklärt Cabanis in der ARD-Doku. Der Cannabiskonsum sei häufig eher ein Warnzeichen für bereits bestehende psychische Erkrankungen, nicht deren Ursache.
Eine Mehrheit der Deutschen befürwortet die Teil-Legalisierung von Cannabis. Das geht aus einer imap-Umfrage hervor. Alle Zahlen und weitere Fakten gibt's im News-Artikel.
Justiz-Bilanz zum Cannabis-Gesetz: Mehr Arbeit, weniger Kontrolle
Weniger entspannt fällt die Bilanz in der Justiz aus. „Eigentlich gehört das neue Gesetz abgeschafft“, sagt Susanne Dathe, Oberstaatsanwältin in Stuttgart, im Gespräch mit der Tagesschau (tagesschau.de, 19. Mai 2025).
Der Schwarzmarkt existiere weiter, der Jugendschutz habe gelitten. Zudem erschwere das neue Cannabis-Gesetz die Strafverfolgung organisierter Drogenkriminalität. Die Sachverhalte seien komplexer geworden, der Aufwand erheblich gestiegen.
Auch Hendrik Weis, Leiter des Rauschgiftdezernats der Polizei Stuttgart, bestätigt die Entwicklung: „Die Problematik ist jetzt, dass wir deutlich mehr investieren müssen, um den Dealer zu überführen.“
Legale Quellen fehlen – Schwarzmarkt bleibt
Ein weiteres strukturelles Problem betrifft die Versorgung. Ein Jahr nach der Teillegalisierung fehlt es noch immer an legalen Cannabisquellen. Anbauvereine kämpfen mit hohen bürokratischen Hürden, viele befinden sich noch in der Gründungsphase.
Solange der legale Markt nicht funktioniert, bleibt der Schwarzmarkt für Konsumenten die Hauptbezugsquelle. Auch die Stuttgarter Abwasseranalysen können diesen Effekt bislang nicht differenzieren. Die Forschenden um Schilling setzen ihre Untersuchungen fort.
Fazit zum Cannabis-Gesetz
Die Bilanz ein Jahr nach der Teillegalisierung fällt gemischt aus: Zwar blieb der befürchtete Anstieg im Konsum aus, und auch schwere Suchtverläufe traten nicht häufiger auf. Doch gleichzeitig geraten Justiz und Polizei zunehmend unter Druck, während der legale Markt bislang nur schleppend vorankommt.. Stuttgart liefert als Datenlabor der Republik nüchterne, aber wertvolle Erkenntnisse.
Quellen
ARD/WDR: „Die Cannabis-Bilanz – Wie viel kiffst du, Deutschland?“ (April 2025)